How to Be an Antiracist
Wie ich ursprünglich auf das Buch aufmerksam geworden bin, weiß ich gar nicht mehr genau – vermutlich schon durch Promotion direkt um die Veröffentlichung im August 2019 herum. Seit ca. einem dreiviertel Jahr habe ich das Buch jedenfalls bereits auf meinem eReader, und nachdem der immer noch omnipräsente Rassismus im vergangenen Monat mal wieder präsenter in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung gewesen ist, habe ich mich entschieden, es nun endlich auch zu lesen.
Kurz gesagt: Sehr gut! Der Einstieg ist etwas holprig, da das Buch in weiten Teilen autobiographisch erzählt wird und die Entwicklung von Ibram X. Kendi einen starken US-Fokus hat. So wird z.B. von den Kirchen(-tagen?) erzählt, auf denen die Eltern sich kennengelernt haben – für gebildete Amerikaner sicherlich Namen, Orte und Events, die man einordnen kann. Aber so wie die meisten Deutschen vermutlich auch nicht mehr viel mit lokalen Eigenheiten anfangen können, wenn sie über das Hofbräuhaus und den Stachus, oder den Prenzlauer Berg und das Brandenburger Tor, hinausgehen, ist man1 in diesen Stellen ein wenig aufgeschmissen und kann die Tragweite und Gedankengänge nicht zu 100% nachempfinden. Das ist aber tatsächlich gar nicht so wichtig – einfach weiterlesen. Es dauert nicht lange, bis mehr als genug erzählt wird, wozu man problemlos einen Bezug aufbauen und sich hineinversetzen kann.
Ein Satz, den ich bei Sachbüchern öfter schreibe, als mir lieb ist: Vieles aus dem Buch war mir nicht unbedingt neu. Ich schreibe ihn nicht gerne, weil er mich neunmalklug wirken lässt, aber das ist nie mein Hintergedanke dabei. Für mich ist diese Erkenntnis nur immer wieder eine Bestätigung, dass ich nicht ganz auf der falschen Spur bin, was meine persönliche Entwicklung angeht. Ibram X. Kendi formuliert einen ganzen Haufen sehr richtiger und kluger Dinge zum Thema (Anti-)Rassismus. Ich stimme allem, was in seinem Buch steht, vollumfänglich zu. Die Tatsache, dass vieles (aber nicht alles!) davon für mich keine Offenbarungen mehr sind, empfinde ich nicht als Negativpunkt des Buchs – weder objektiv wie subjektiv. Es freut mich, dass so viele der Gedanken und Positionen, die ich mir über die Jahre angeeignet habe, so stark damit übereinstimmen, was er schreibt. Und es tut gut, wenn die eigene Überzeugung validiert wird, denn natürlich stellt das Buch nicht nur ein paar Aussagen in den Raum, sondern erklärt diese auch mit klaren, einleuchtenden Begründungen. Ich glaube, dass die Lektüre in dieser Hinsicht vor allem Leuten neue Einsichten verschaffen kann, die sich zwar “an die Regeln halten” weil sie wissen und zustimmen, dass man “nicht rassistisch sein darf/soll”, sich aber dabei oft noch fragen, warum manche Dinge heutzutage überhaupt als rassistisch, sexistisch, etc. gelten.
Das aufzugreifen gelingt dem Buch durch seine Struktur besonders gut. Es ist in Kapitel aufgeteilt, die sich jeweils mit verschiedenen Aspekten von Rassismus befassen. Wirtschaftlicher Rassismus, biologischer Rassismus, integrierender Rassismus, teilender Rassismus, klassistischer Rassismus, sexistischer Rassismus, Rassismus gegen Schwarze, Rassismus gegen Weiße, kultureller Rassismus, uvm. – meist beginnt ein Kapitel mit einer Geschichte aus seinem Leben und darauf folgt eine Analyse, welche die Geschichte in einen breiteren Kontext stellt und daran aufzeigt, wie der Rassismus des jeweiligen Kapitels funktioniert. Mir gefällt die Aufteilung deshalb gut, weil sie deutlich macht, dass Rassismus überall ist. Und dass er enorm groß aber auch sehr, sehr klein sein kann. Diese Erkenntnisse sind essentielle Schritte auf dem Weg zum Antirassismus, nur mit ihnen kann man verstehen und akzeptieren, dass es vermutlich keinen einzigen “nicht-rassistischen” Menschen auf diesem Planeten gibt. Und dass die Aussage “Das ist rassistisch.” nicht zwangsläufig der totale Weltuntergang ist, sondern zunächst mal nur eine Aussage, der man sich entweder stellen kann oder nicht. Als Anti-Rassist stellt man sich ihr, als Rassist nicht. Ob man Rassist oder Anti-Rassist ist, entscheidet man jedes Mal aufs Neue. Die wenigsten Menschen haben die Kraft und Größe, jedes Mal richtig zu entscheiden. Aber mit diesen Definitionen von Rassist, Anti-Rassist, und dem Wissen dass es Nicht-Rassisten nicht gibt, kann man sich falsche Entscheidungen vergeben und lernen, immer öfter richtig zu entscheiden statt durch Schuldgefühle in eine Trotzhaltung zu verfallen.
Das Buch hilft dabei, all das zu verinnerlichen. Wenig überraschend helfen die Lektionen aus dem Buch auch im Umgang mit anderen Problemen, schließlich lässt sich Rassismus nur schwerlich von Sexismus oder Kapitalismus/Klassismus losgelöst betrachten.
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Oder besser “war ich” – vielleicht mangelt es auch nur mir am passenden Hintergrundwissen. ↩︎